Aus Geschichte des Dorfes Rufen


Im Jahre 2000 fasste mein Vater, Siegesmund Berkner, die Ergebnisse seiner Nachforschungen zur Geschichte seines Heimatdorfes in der folgenden Abhandlung zusammen: 
"Aus der Geschichte meines Heimatdorfes,  des ostbrandenburgischen Dorfes, Rufen, Kreis Soldin / Neumark".

Das Ergebnis dieser Arbeit ist ein inzwischen 60 Seiten umfassendes Buch, welches hier mit Inhalt, Vorwort und einer Leseprobe vorgestellt wird.





Inhalt

01    ÜBER DIE GRÜNDE, DIE ANLASS FÜR DIESE ARBEIT SIND 
02    ZUR GESCHICHTE DER REGION  
03    ZUR LAGE UND GEOGRAPHIE DES DORFES RUFEN
04    VON DER GRÜNDUNG DES DORFES RUFEN BIS ZUM ENDE DES 17.JH.
05    ÜBER DIE BESITZVERHÄLTNISSE IN RUFEN AM ANFANG DES 18. JH.
06    DIE KARTE DER GEMARKUNG RUFEN VON 1752/53
07    ÜBER DIE BESITZVERHÄLTNISSE AM ANFANG DES 19.JH.
08    ÜBER DIE BESITZVERHÄLTNISSE IM ERSTEN DRITTEL DES 20.JH.
09    ÜBER DIE BESITZVERHÄLTNISSE IN RUFEN IM JAHRE 1944
10    DIE BAUERNHOFBESITZER VON RUFEN UND IHR VERBLEIB NACH 1945
11    DIE KRIEGS- UND VERTREIBUNGSTOTEN DES DORFES RUFEN
12    ANLAGEN
12.1    ERBPACHTVERSCHREIBUNGSURKUNDE
12.2    INVENTARVERZEICHNIS
12.3    TESTAMENTAUSZUG 
12.4    ALTENTEILFESTLEGUNGEN 
12.5    BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN
13    LITERATURVERZEICHNIS


Der Bahnhof von Rufen
Vorwort

Im Ergebnis der Niederlage Deutschlands im 2. Weltkrieg mussten rund 14 Millionen Deutsche ihre angestammte Heimat in den Reichsgebieten östlich von Oder und Lausitzer Neiße sowie in den deutschen Siedlungsgebieten mittelost- und südosteuropäischer Staaten verlassen. Obwohl zum Ende des Krieges sich die später zwischen den Siegermächten offen ausbrechenden Widersprüche und die gegensätzlichen politischen Auffassungen schon andeuteten, waren sie sich einig hinsichtlich der „ethnischen Säuberung“ der deutschen Ostgebiete. Die Sowjetunion verfolgte das Ziel, ihr Territorium und ihr Einflussgebiet möglichst weit nach Westen auszudehnen und machte sich zum harten Fürsprecher der nationalistischen Gebietsforderungen der Polen und Tschechen. Die westlichen Siegermächte, Großbritannien und die USA, wollten und konnten dem nichts Ernsthaftes entgegensetzen. Sie hofften, mit ihrer die Vertreibung der deutschen Bevölkerung duldenden Haltung Polen und die Tschechoslowakei an sich zu binden und dem sowjetischen Einfluss zu entziehen, was ihnen gründlich misslang.

So nahm die Aus- oder Umsiedlung der deutschen Bewohner, ihre Abschiebung, der Bevölkerungstransfer ihren bzw. seinen Lauf. Solche beschönigenden Namen verwendete man dafür. In Wirklichkeit wurde eine brutale und völkerrechtswidrige Vertreibung der Menschen aus ihren Wohnungen, von Haus und Hof, von Besitz und Eigentum insbesondere von Polen und Tschechen, aber auch in anderen Ländern durchgeführt. Bescheidenes Handgepäck wurde ihnen oft genug noch geraubt, Alte und Kranke wurden nicht versorgt und kamen unterwegs um ebenso wie viele Männer und Frauen  in Straf- und Arbeitslagern. Insgesamt haben etwa zwei Millionen Deutsche die Vertreibung  aus ihrer Heimat nicht überlebt. Glücklich konnten die sein, die noch vor Kriegsende vor der heranrückenden Front geflüchtet waren und die Drangsal der Vertreibung nicht unmittelbar erdulden mussten. Und doppeltes Glück hatten die, deren Flucht und Vertreibung erst in den westlichen Teilen Deutschlands ein Ende fand. Sie erhielten in der aus den Besatzungszonen der Westalliierten entstandenen Bundesrepublik Deutschland, wenn auch erst nach Jahren, einen Lastenausgleich, der den Verlust des gehabten Vermögens lindern, keinesfalls aber ersetzen sollte. Die Politiker aller Couleur in der Bundesrepublik verkündeten damals nämlich lautstark, dass man die Abtrennung der deutschen Ostprovinzen als völkerrechtswidrig betrachte und niemals anerkennen würde. Damit nährten sie die verständlichen Hoffnungen der Vertriebenen, dass der Verlust der Heimat nicht endgültig sei.

Völlig gegensätzlich gestaltete sich die Situation für die Vertriebenen in der sowjetischen Besatzungszone und späteren Deutschen Demokratischen Republik. Die Amtssprache kannte hier keine Vertriebenen sondern nur Umsiedler und Flüchtlinge, und an einen Lastenausgleich war gar nicht zu denken. Die politische Führung der DDR akzeptierte unter dem herrschenden sowjetischen Einfluss die Abtretung der deutschen Reichsgebiete östlich von Oder und Neiße. Bereits am 06. Juni 1950 unterzeichneten die damaligen DDR-Repräsentanten Pieck und Grotewohl das „Görlitzer Abkommen“, das die Oder-Neiße-Grenze als „Friedensgrenze“ zwischen der DDR und Polen als endgültig bezeichnete. Das Schicksal der vertriebenen deutschen Bevölkerung spielte dabei keine Rolle.  ...

Den Vertriebenen ist bewusst, dass es nicht wieder so werden kann wie es war. Aber es kann auch nicht so bleiben wie es ist, wo einer Seite alles gegeben ist und der anderen nichts. Länderübergreifend sollten die Politiker die geschichtliche Erfahrung stärker beachten, dass durch Macht und Gewalt erzeugtes Unrecht im Zusammenleben der Völker früher oder später eine Revision erfährt. Das geschieht nicht selten eher später als früher. Deshalb müssen die deutschen Vertriebenen ins Kalkül ziehen, dass bei der zögerlichen Art und Weise ihrer Interessenvertretung durch die Bundesrepublik Deutschland sich kurzfristig kaum Fortschritte zeigen werden. Aber was dann, wenn die zahlenmäßig schon arg gelichtete Erlebnisgeneration der Vertriebenen gänzlich ausgestorben ist? Es ist doch heute schon so, dass der größte Teil der ehemaligen Eigentümer nicht mehr am Leben ist und ein Vermögensnachweis und -anspruch von deren Kindern oder Enkeln vertreten werden muss. Aber wie weit reicht deren Wissen? Zum Zeitpunkt der Vertreibung waren sie im Jugend- oder Kindesalter, und manche von ihnen wurden erst in der Nachkriegszeit geboren. Ihnen allen dürfte es schwer fallen, die Vermögenssituation und die Eigentumsverhältnisse der Eltern bzw. Großeltern darzustellen, auch wenn im günstigsten Falle noch einige Dokumente und Unterlagen vorhanden sind. Deshalb ist es ungemein wichtig, alles Material zu sammeln, was über die Eigentums- und Besitzverhältnisse vor 1945 in den Vertreibungsgebieten Auskunft gibt. Dieser Zielstellung wird in der folgenden Arbeit nachgegangen, in der die Entwicklung der Eigentums- und Besitzverhältnisse eines ganzen Dorfes vom Zeitpunkt seiner Gründung bis zum Jahr 1945, insbesondere aber der Stand kurz vor der Vertreibung seiner Bewohner, nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Unterlagen dargestellt wird. Mit dem Rückblick in die Geschichte des Dorfes und der Region soll gleichzeitig der besonders nach dem Kriegsende und auch heute noch von Polen verbreiteten Behauptung entgegengetreten werden, dass die von Polen okkupierten deutschen Ostprovinzen „urpolnisch“ seien und 1945 „zurückgewonnen“ wurden. Es handelt sich um das neumärkische Dorf Rufen im Kreis Soldin, in der nordwestlichen Ecke des Kreises gelegen, nur einen Kilometer von der Grenze zum ebenfalls neumärkischen Kreis Königsberg und wenig mehr von der zum pommerschen Kreis Greifenhagen entfernt.


Der Hof Berkner in Rufen
Leseprobe: Zur Lage und Geographie des Dorfes Rufen

An dem Verbindungsweg zwischen den beiden Städten Königsberg und Soldin, die sich im Laufe der Zeit zu bescheidenen Handelszentren und Verwaltungsmittelpunkten entwickelten und dann Kreisstädte wurden, dort, wo ein weiterer Weg nach Norden in Richtung Stettin abzweigte und somit eine Verbindung zur Ostsee herstellte, wurde eine dörfliche Siedlung angelegt, das Dorf Rufen. Die Lage des Dorfes Rufen ist etwa mit 14°44´östlicher Länge und 52°59´nördlicher Breite bestimmt.
Der Ort liegt in einer Landschaft, die – wie in großen Teilen Norddeutschlands – von der Eiszeit geologisch und oberflächlich gestaltet wurde. Die beiden letzten eiszeitlichen Perioden haben nördlich und südlich des Dorfes in jeweils etwa 15 – 20 km Entfernung Endmoränen in Form unregelmäßiger kuppiger Hügelzüge aufgestaucht und aufgehäuft, die sich in Bögen von West nach Ost hinziehen.  ...

Die sanft gewellte Grundmoränenlandschaft ermöglichte eine weitgehend geradlinige verkehrsmäßige Anbindung an die Nachbarorte und die städtischen Zentren. In südöstliche Richtung führte der Weg, die spätere Reichsstraße 113, nach Soldin und dann weiter über Landsberg in das Sternberger Land und nach Niederschlesien. In nördlicher Richtung stellte diese Straße über Bahn und Greifenhagen die Verbindung zur pommerschen Haupt- und Hafenstadt Stettin her. In Rufen zweigte von der Reichsstraße 113 nach Westen die Straße über Bad Schönfließ nach Königsberg ab, die dann bei Zehden die Oder überquerte und über Bad Freienwalde die Anbindung an die Reichshauptstadt Berlin besorgte. Dieser Straßenzug, die Reichsstraße 158, war nordwärts 15km mit der Reichsstraße 113 identisch, bevor sie in Bahn nach Pyritz abzweigte und über Stargard weiter in das östliche Hinterpommern führte. Die Lage des Dorfes unmittelbar an Hauptverkehrsstraßen war für die Bewohner bedeutsam und vorteilhaft. Da im III. Reich diese Straßenzüge militärstrategische Bedeutung hatten, wurden beide Reichsstraßen einschließlich der Dorfstraße modern ausgebaut. Dem Aussehen des Dorfes kam das sehr zugute.  ...

Nach dem Ausbau der Straßen konnte man ohne große Mühe z.B. mit dem Fahrrad nach  Soldin oder Bad Schönfließ fahren. Ältere Leute fuhren eher mit dem Postomnibus, der täglich zwischen Soldin und Königsberg verkehrte. Im übrigen war der Straßenverkehr nicht annähernd mit dem von heute zu vergleichen. Im ganzen Dorf gab es nur zwei PKW und zwei Trecker. Deshalb war es für die Menschen sehr bedeutsam, dass man von und nach Rufen auch mit der Bahn fahren konnte. Der Ort lag an der 1899 eingerichteten Bahnlinie Jädickendorf – Pyritz, und der Bahnhof befand sich nahe dem östlichen Dorfrand.  ...

Wie bei der Straßenführung öffnete sich für den Bahnreisenden über Pyritz und Stargard der Weg nach Hinterpommern. Von Jädickendorf, das zu einem nicht unbedeutenden Eisenbahnknoten ausgebaut worden war, konnte man über Königsberg nach Stettin fahren und in der entgegengesetzten Richtung Küstrin mit Anschluss an die Ostbahn sowie Frankfurt/Oder und schließlich Schlesien erreichen. Und letztlich führte eine weitere Linie von Jädickendorf über Wriezen nach Berlin. Der Bahnanschluss war insbesondere für die Bauern des Dorfes vorteilhaft. Hier wurden ohne lange Anfahrtswege landwirtschaftliche Produkte, vor allem Kartoffeln verladen, und ebenso günstig gestaltete sich die Anlieferung z.B. von Düngemitteln, Briketts u.ä. Dem Bahnhof gegenüber auf der anderen Straßenseite hatte die Hauptgenossenschaft Kurmark einen Speicher für den Umschlag von Getreide und Futtermitteln errichtet. Speicher und Bahnanschluss in Rufen wurden auch von den Bauern und dem Gut im benachbarten Dobberphul genutzt. Und da die Bahnlinie in Richtung Jädickendorf auch das Städtchen Bad Schönfließ tangierte, fuhr man mit der Bahn dorthin, um Einkäufe zu erledigen oder den Arzt, den Zahnarzt bzw. die Apotheke aufzusuchen. Dagegen war ein Besuch der Kreisstadt Soldin per Bahn nur auf dem Umweg über Pyritz möglich und wurde so kaum praktiziert. Auf die Bahn angewiesen waren aber wiederum die Schüler, die in Bad Schönfließ die Mittelschule oder in Pyritz das Gymnasium besuchten.

Es ist sicher nicht unbegründet, wenn man davon ausgeht, dass das Zusammentreffen wichtiger Verkehrswege in der flachen Grundmoränenlandschaft die Anlage des Dorfes an der vorher beschriebenen Wegegabelung befördert hat, zumal andere bedeutsame Standortvorteile nicht zu erkennen sind. In diesem Zusammenhang ist noch ein früher wichtiger Verbindungsweg zu erwähnen, über den vornehmlich alte Leute zu berichten wussten. Es ist der „Lothweg“, der auf der 1-cm-Karte von 1934 noch nachgewiesen ist. Danach beginnt er westlich von Bad Schönfließ bei Steinwehr und führt in großem Bogen an Rufen vorbei in den pommerschen Raum. Dabei ist er in einem Abschnitt identisch mit der Rufener Gemarkungsgrenze. Nach mündlicher Überlieferung ist der Lothweg in zurückliegenden Zeiten aber nicht nur Grenzweg sondern wichtiger Fahr- und Handelsweg, möglicherweise auch abkürzender Post- und Kurierweg, gewesen. Und so ist wohl zu erklären, dass sich der Name bis in die Neuzeit erhalten hat, obwohl die frühere Bedeutung des Weges nicht mehr gegeben ist.

Straßenbauarbeiten in Rufen in der 1.Hälfte der 30er Jahre
(c) Jörg Berkner